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Wissenschaft - Quantenphysik

Prof. Dr. Thomas Görnitz: Von der Quantenphysik zum Bewusstsein (2018)

In dieser Rubrik wollen wir einen direkten und zeitgenössischen Bezug zu einem einzelnen Fachbereich der Wissenschaft bringen, den wir für lesenswert erachten unter unserem Monatsthema:


Bewusstsein tritt erst sehr spät in der kosmischen Evolution auf. In dieser erscheinen Planeten aus Zuständen ohne solche, auf diesen entstehen Lebensformen aus Unbelebtem und schließlich bewusstseinsfähige Tiere aus Lebewesen, welche nicht zu bewussten Zuständen fähig sind. Da Naturwissenschaft für ihre Erklärung dieser Erscheinungen keine transzendenten Einflüsse postulieren darf, muss die Möglichkeit für Bewusstsein seit dem Beginn der kosmischen Evolution vorhanden gewesen sein. Daher wird eine Erklärung von Bewusstsein erst mit dem neuen Verständnis von „Materie“ möglich, welches aus den Grundlagen einer tief verstandenen Quantentheorie erwächst. Es zeigt sich, dass der Urgrund des Seins in einer naturwissenschaftlichen Metapher eher mit unseren Gedanken als mit unserem Körper verglichen werden muss. 

Neben den nachfolgenden Auszügen aus der wissenschaftlichen Abhandlung von Hr. Prof. Dr. Görnitz ist auch dieser für den Laien gut verständliche Vortrag zu diesem großen Thema empfehlenswert:

Vortrag Prof. Dr. Thomas Görnitz und Dr. Brigitte Görnitz

Via Munde e.V.  1:40:27 Min
Quelle (frei zugänglich): youtube


Auszüge aus der wissenschaftlichen Abhandlung

Thomas Görnitz:  
Bewusstsein – naturwissenschaftlich betrachtet und enträtselt / ein Brückenschlag zwischen den Wissenschaften 

Das Erklären von »Bewusstsein« wird heute als ein zentraler Gesichtspunkt für ein Erklären des Menschen betrachtet. Auf Grund neuer diagnostischer Methoden, wie beispielsweise der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) oder der funktionellen Kernspinresonanz (fNMR) wird eine immer bessere Beobachtung und Analyse des lebenden Gehirns möglich. So kann man diesem heutzutage gleichsam beim »Denken zuschauen«. Wegen der großen experimentellen Fortschritte wird jetzt weithin expliziert, dass die Zeit gekommen sei, auch das Bewusstsein naturwissenschaftlich zu erklären. Dabei ist sogleich daran zu erinnern, dass alle die neuen experimentellen Methoden im Wesentlichen auf quantenphysikalischen Erkenntnissen beruhen, denn dieser bedeutsame Sachverhalt wird zumeist ignoriert. Eine tatsächliche Erklärung des Bewusstseins ist als ähnlich bedeutsam einzuschätzen wie beispielsweise die Ablösung der Jahrtausende alten Vorstellung der Kreisbewegung der Himmelskörper durch Kepler. Die von Ptolemäus und sogar auch noch von Kopernikus beibehaltene Meinung, dass die Himmelskörper auf Kreisbahnen laufen, ist zwar »ungefähr« richtig, aber erst die genaue Analyse Keplers, die die Bahnen der Planeten zur Ellipsenform verallgemeinerte, eröffnete den Weg zur Physik Newtons. Mit dessen Kraftbegriff konnte man von einer bloßen Beschreibung der Phänomene, wie sie bis dahin in verschiedener Weise und mit trotzdem ähnlicher Qualität vorgenommen wurde, zu einer tatsächlichen Erklärung übergehen. Erst mit dieser wurde es möglich, beispielsweise die bis dahin unerklärbaren Bahnen von Kometen zu verstehen und sogar die von Raketen vorherzubestimmen.  Auch für eine Erklärung von Leben und Bewusstsein ist ins Gedächtnis zu rufen, dass die Physik die einfachsten und damit die grundlegenden und die universell gültigen Strukturen untersucht. Die Biologie erforscht sehr viel komplexere Zusammenhänge, aber natürlich bleiben überall in ihrem Geltungsbereich die physikalischen Grundlagen zutreffend und fundamental. Gegenwärtig zeigt sich auch in den Phänomenbereichen der Lebenswissenschaften – so wie bisher bei den weniger komplexen Systemen, die die Chemie untersucht, und natürlich in der Physik – dass ohne ein Einbeziehen der Erkenntnisse der Quantentheorie kein weiterer Fortschritt in grundlegenden Fragen erzielt werden kann. 

Quantentheorie – Grundlage der Naturwissenschaften

Die Quantentheorie entwirft ein neues Bild von der Welt, in dem allerdings die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht vollkommen über Bord geworfen werden. Sie bleiben in vielen Fällen als »ungefähr zutreffend« gültig und ihre anschaulichen Bilder, an die wir uns in drei Jahrhunderten der Wissenschaftsentwicklung gewöhnt haben, liefern einen Rahmen für die genaueren quantentheoretischen Strukturen.  Die Quantentheorie hat in den hundert Jahren seit ihrer Entdeckung eine sehr bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen und sich über die anfängliche Quantenmechanik weit hinaus 2   entwickelt. Quantenfeldtheorie und Quanteninformationstheorie haben mit neuen mathematischen und begrifflichen Beiträgen diesen Bereich in ähnlicher Weise erweitert wie etwa die Elektrodynamik und statistische Thermodynamik die klassische Mechanik ergänzt und fortgeführt haben. Dass bereits heute über 25 % des Bruttosozialproduktes mit Hilfe von Ergebnissen der Quantentheorie erwirtschaftet werden, zeigt deren überaus breite Anwendung. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch festzustellen, dass selbst ein Jahrhundert nach der Entdeckung der Quanten deren Erkenntnisse bisher nur wenig Eingang in das allgemeine Nachdenken über die grundlegenden Strukturen der Wirklichkeit gefunden haben. Selbst in der Physik ist zu beobachten, dass vielfach die Quantentheorie nur als wenig geliebte Rechenstruktur betrachtet wird, deren philosophischen Folgerungen gern ausgeblendet werden oder für die man sich bemüht, diese wieder in den Denkrahmen der klassische Physik zurückzupressen.  Die Väter der Quantentheorie, die mit der Kopenhagener Deutung die erste akzeptable Interpretation dieser Theorie erstellt hatten, konnten naturgemäß alle die Experimente noch nicht kennen, die später immer deutlicher die universelle Gültigkeit der Quantentheorie aufgezeigt haben. Die selbst manchmal in der Physik noch vertretene Ansicht, diese Theorie sei die der »Mikrophysik«, hat sich in der Zwischenzeit als viel zu enges Konzept herausgestellt. Heute erweist sich die Quantentheorie als die bisher genaueste und die klassische Physik als eine näherungsweise Beschreibung der Naturvorgänge. 

Quantentheorie und Beobachter

Während in der Kopenhagener Deutung der Quantentheorie der Beobachter oder zumindest dessen Bewusstsein noch ausdrücklich aus der Naturbeschreibung ausgenommen werden, eröffnen die neuen Experimente und theoretischen Erkenntnisse mit den sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen die Möglichkeit, auch den Beobachter mit seinem Bewusstsein naturwissenschaftlich zu erklären. Dies wird möglich, weil auch das Leben als Grundlage des Bewusstseins erklärt werden kann, wenn man mit Hilfe der Quantentheorie die seit der Antike existierenden Vorstellungen von Atomen oder später von Elementarteilchen als »grundlegenden Bausteinen« und als das ausschließlich Reale überwindet. Die moderne Naturwissenschaft kann die Materie als abgeleitete Größe erklären und damit zustimmend auf die rhetorische Frage des Konzilstheologen Prof. Ratzinger (heute viel bekannter unter dem Namen Papst Benedikt XVI.) antworten: »… stellt sich uns heute in der Form der Frage dar, ob man den Geist und das Leben in seinen ansteigenden Formen nur als einen zufälligen Schimmel auf der Oberfläche des Materiellen (das heißt des sich nicht selbst verstehenden Seienden) oder ob man ihn als das Ziel des Geschehens ansieht und damit umgekehrt die Materie als Vorgeschichte des Geistes betrachtet.«1   Die Naturwissenschaften weisen aus methodischen Gründen und vor allem auch im Hinblick auf die kosmische Evolution zurecht eine dualistische Konzeption für die Erklärung der Natur zurück. Außerdem bliebe damit immer noch die Wechselwirkung zwischen solch zwei gleichermaßen als fundamental postulierten Entitäten zu erklären. So erweist sich die Überwindung eines »Bausteinbildes« der Materie als die entscheidende Voraussetzung, um das                                             

Phänomen des Bewusstseins in einer monistischen Weise in die Naturwissenschaften einordnen zu können.  Der erste, der derartige Überlegungen über eine naturwissenschaftliche Neukonzeption von Materie ausformulierte und nach einem Weg suchte, sie in der Physik zu etablieren, war C. F. v. Weizsäcker. Er sah als erster, dass die Quantentheorie es ermöglichen kann, eine monistische Beschreibung der Natur zu entwerfen, die nicht mehr die Materie als fundamentale Bauklötzchen und das Geistige als ein »Epiphänomen« darstellen muss. Allerdings gehörte er noch zu der Generation von Physikern, welche die Schwarzen Löcher lediglich für eine Fiktion junger Theoretiker hielten. So blieb er mit seiner Urtheorie noch im Widerspruch zur Allgemeinen Relativitätstheorie und konnte den Anschluss an die gegenwärtige Physik nicht erreichen. In einer Weiterentwicklung von Ideen aus Weizsäckers »Ur-Theorie« und in Verbindung zu der von Bekenstein und Hawking entdeckten Entropie der Schwarzen Löcher sowie mit der Erstellung einer realistischen Kosmologie konnte in den 1980er Jahren die naturwissenschaftliche Idee einer »absoluten Quanteninformation« erstmals realisiert werden.2 Sie wurde später als »Protyposis«3 bezeichnet, um eine gleichermaßen naheliegende wie irreführende Assoziation von Information zu »Bedeutung« zu unterbinden. Die Protyposis kann natürlich mit Bedeutung versehen werden, wenn sie sich als der physikalische Ausdruck für dasjenige erweist, was in anderen Zusammenhängen als das Geistige bezeichnet wird und was wir Menschen z.B. in Form unserer bewussten Gedanken unmittelbar kennen können. Für die Naturwissenschaften neu ist die Erkenntnis, dass die Protyposis die »Substanz« ist, die sich seit dem Urknall, also seit dem Beginn der kosmischen Entwicklung, u.a. auch zu materiellen Objekten ausgeformt hat. Materie erweist sich damit als geformte oder kondensierte Protyposis und Bewusstsein als Protyposis, die sich selbst erlebt und kennt.   Wie bei allen Umwälzungen in der Geschichte der Wissenschaft waren gegen dieses neue Bild der Wirklichkeit auch erst einmal Widerstände zu erwarten, denn es ist stets bequemer, beim bereits Bekannten zu beharren als sich auf Ungewohntes einzulassen. Allerdings ist gegenwärtig der Beginn eines Umbruchs zu bemerken. So haben jahrzehntelange sehr erfolgreiche Experimente beispielsweise Experimentalphysiker wie Anton Zeilinger im Jahre 2003 ebenfalls zu der erstmals von Weizsäcker in den 1970er Jahren formulierten Einsicht gelangen lassen: »Information ist der Urstoff des Universums«.4 Jedoch wird bei Zeilingers Informationsbegriff der Bezug zur Kosmologie und damit zur kosmischen und biologischen Evolution noch nicht gesehen und ebenfalls noch nicht von der Bedeutung abstrahiert. Mit seinem Ansatz wird eine Äquivalenz von Quanteninformation und Materie noch nicht möglich. Dieser fundamentale Übergang wird erst von der abstrakten und bedeutungsfreien, kosmologisch begründeten Quanteninformation, der Protyposis, geleistet. Dass auch bei manchen Geisteswissenschaftlern eine Öffnung des Denkens für diese neuen Gedanken zu bemerken ist, wird beispielsweise an der Protyposis deutlich, welche die Basis der neuen Materiekonzeption ist. Sie verdankt ihren Namen einem Vorschlag des Frankfurter Altphilologen R. Schüßler.   

1 In SCHULZ, H.J. (Hg.), Gott, 240f.
2  GÖRNITZ, TH., Abstract Quantum Theory I und II, 3  GÖRNITZ, TH. /GÖRNITZ B., Kosmos, TB. 4 ZEILINGER, A., Einsteins, 117.

Usw…. und noch:

Leben

Lebewesen sind fähig zur Selbststeuerung, das meint, sie können äußere Reize in Verbindung mit bereits intern vorhandener Information verarbeiten und darauf entsprechend reagieren. Steuerung, also das Einwirken von Information auf materielle Objekte, ist nur in instabilen Situationen möglich. In der Sprache der Chaostheorie sind dies beispielsweise Bifurkationspunkte. An denen können mit beliebig kleinen Einwirkungen »Weichen« für weiteres Verhalten gestellt werden. Da Lebewesen stets instabile Systeme sind, gibt es für sie ständig Situationen, in denen sich Steuerungsmöglichkeiten eröffnen. Eine Erklärung des Lebendigen muss also notwendig über Definitionen hinausgehen, die allein aus der Nichtgleichgewichtsthermodynamik stammen. Man kann formulieren, Lebewesen sind Systeme, die durch die folgenden Eigenschaften gekennzeichnet sind:  »Lebewesen sind im Verlauf der kosmischen Evolution die ersten Systeme, welche die überall stattfindende kausale Bottom-Up-Verursachung in einer dynamischen Schichtenstruktur mit einer quantischen TopDown-Steuerung verbunden haben, so dass sie sich mit dieser internen Informationsverarbeitung unter wechselnden Umweltbedingungen stabilisieren können. Somit können an ihnen Quantenmöglichkeiten makroskopisch in Erscheinung treten.  Um für lange Zeit in einem Zustand verbleiben zu können, der weit entfernt vom thermodynamischen Gleichgewicht ist – was eine Voraussetzung für die Möglichkeit von quantischer Steuerung ist – bedürfen sie daher eines ständigen Energie- und Materialdurchsatzes und einer Entropieabgabe an ihre Umgebung.  Lebewesen werden im Prozess der Evolution verbleiben können, wenn sie in der Lage sind, alle diese Fähigkeiten an ihresgleichen weitergeben zu können.«14  Bisher werden die Versuche, die körperlichen und die physischen Phänomene naturwissenschaftlich in Beziehung zu setzen, zumeist unter einem Absehen von quantenphysikalischen Überlegungen in Angriff genommen. Dass die damit verbundenen zentralen Probleme deshalb auch ungelöst bleiben müssen, wird beispielsweise sehr anschaulich von Stapp15 in der Einleitung seines Buches dargestellt und ich stimme mit ihm überein, dass die von ihm herangezogenen Theoriebereiche der Quantenmechanik und Quantenfeldtheorie dafür unbedingt notwendig sind. Aber sie allein sind noch nicht hinreichend dafür, das Leib-Seele-Problem einer naturwissenschaftlichen Lösung tatsächlich zuführen zu können. Mit der Protyposis hingegen wird es möglich, dies in der Naturwissenschaft erstmals zu erreichen.  Der Lauf der kosmischen Evolution kann dahingehend interpretiert werden, dass Information dazu strebt, Bedeutung zu erhalten und letztlich, sich selbst verstehen zu können. Bedeutung gibt es im Kosmos erst mit den Lebewesen. Sie entsteht in der Beziehung von einkommender Information mit derjenigen, die bereits im Lebewesen gespeichert ist. Lebewesen versehen Information dadurch mit Bedeutung, dass sie diese zur eigenen Stabilisierung in einer sich verändernden Umwelt verwenden. 

Quantentheorie und das Psychische

Die Äquivalenz von Quanteninformation mit Energie und Materie lässt die Möglichkeit als vollkommen natürlich erscheinen, dass das Psychische in all seinen Spielarten auf das lebendige Körperliche einwirken kann. Eine Beeinflussung des Materiellen durch Geistiges geschieht daher nicht zwischen verschiedenen Substanzen und verbleibt im Geltungsbereich der Physik.  Am Beginn der biologischen Evolution kann »falsche Bedeutung« dadurch gekennzeichnet werden, dass die betreffenden Lebewesen schneller aus ihr wieder verschwinden als diejenigen, die der Information eine »zutreffende Bedeutung« geben. Später entwickelt sich in denjenigen Lebewesen, die wegen ihrer Ortsveränderlichkeit eine schnelle Informationsverarbeitung benötigen, ein Nervensystem. Mit dessen wachsender Komplexität kann »Bedeutung« immer mehr über reine und unmittelbare Selbsterhaltung hinauswachsen.  Im Laufe der Evolution des Geistigen werden Lebewesen erlebensfähig. Das bedeutet, dass sie die wesentlichen internen Daten, also die aus Körper und Gedächtnis, und die wesentlichen externen Daten, also die aus den Sinnesorganen, zu einer Einheit zusammenfassen können. Ein solcher, das Lebewesen stabilisierender interner Steuerungsprozess erweist sich als ein individueller Quantenprozess. Das bedeutet, dass es unmöglich ist, diesen von außen vollständig erkennen zu können. Mit dem Erleben wird eine Stufe der Informationsverarbeitung erreicht, die über bloße Instinkthandlungen hinausreicht. Einzeller haben gewiss noch kein Erleben. Wirbeltiere und wohl auch manche hochentwickelte Weichtiere, wie Tintenfische, sind sicherlich erlebensfähig, und bei Vögeln und Säugern gibt es keinen Grund, an ihrem Erleben zu zweifeln. Da das meiste am Erleben unbewusst und vieles vorbewusst abläuft, ist es nötig, zwischen Erleben und Bewusstsein zu unterscheiden. Der Quantenprozess des Bewusstseins dupliziert Quanteninformation aus dem Kurzzeitgedächtnis und aus dem aktuellen Erleben und hält diese Information bis zu einem Zeitraum von etwa drei Sekunden präsent. Damit kann aus Erleben eine bewusste Gegenwart werden. Es ist leicht zu verstehen, dass dafür ein hinreichend komplexes Gehirn notwendig ist.  Der Zustand des ›Bewusstseins‹ bedeutet keinesfalls, dass alles Erleben oder alle Wahrnehmung auch tatsächlich bewusst werden. Denn da das Duplizieren von Quanteninformation aufwendig ist, wird nicht der gesamte Erlebenszustand, sondern lediglich ein Teilzustand von ihm dupliziert. Man kann definieren: »Bewusstsein ist ein zeitweiliger Zustand von Quanteninformation, welche aus dem Erleben dupliziert wird. So kann Bewusstsein im Aufmerksamkeitskegel jeweils wichtige Ausschnitte des Erlebens gegenwärtig haben. In diesem Sinne ist Bewusstsein Quanteninformation des Erlebenden über sein Erleben. Es ist wegen dieser Quanteneigenschaften notwendig subjektiv.«16                    

Das Bewusstsein erweist sich als eine spezielle Form der abstrakten Quanteninformation, und zwar als die am höchsten entwickelte: »Bewusstsein ist Quanteninformation, die sich selbst erlebt und selbst kennt.«  Damit kann dem Bewusstsein und allgemein allem Psychischen die gleiche Realität wie dem Materiellen zugesprochen werden. Die Gedanken in den Köpfen der Menschen sind aus naturwissenschaftlicher Sicht vom gleichen Realitätsgrad wie beispielsweise die Quarks, die in den Atomen ihrer Gehirne postuliert werden. Auch wenn weder die Quarks noch die Gedanken einfach so »vorgezeigt« werden können wie ein beispielsweise ein Stuhl, so werden sie doch als Strukturen wirksam. Die Quarks hat man an Streuexperimenten entdeckt, bei denen deutlich wurde, dass sie wichtig sind für ein Erklären des Verhaltens von Protonen und Neutronen. Gedanken kann man aussprechen oder aufschreiben – und wie wichtig ihre Bedeutung ist, wird erkennbar am Verhalten des Menschen. 

Die Evolution zielt auf Reflexionsfähigkeit 

Im Verlaufe der biologischen Evolution ist eine Zunahme bei der Fähigkeit zur Informationsverarbeitung zu erkennen. So findet man in späteren erdgeschichtlichen Epochen neue Tierformen, die in diesen Fähigkeiten alle früheren Formen übertreffen. Bisher kennt die Wissenschaft keine Lebensform, die den Menschen in seinen geistigen Leistungen übertreffen würde. Das menschliche Bewusstsein ist in der Lage, über seinen Körper und über sich selbst nachzudenken. Dass ein Teil des Denkens das ganze Denken erfassen kann, ist ohne Quantentheorie nicht naturwissenschaftlich zu beschreiben. Die mathematische Trivialität, das eine unendliche Menge einer echten Teilmenge gleichmächtig sein kann, wird außerhalb der mathematischen Naturwissenschaften nicht oft verbalisiert. So ist es für manche verwunderlich, dass es ebensoviel gerade Zahlen wie ganze Zahlen gibt (beides gleichmächtige unendliche Mengen), obwohl unter den ganzen Zahlen von 1 bis zwei Milliarden nur eine Milliarde von geraden Zahlen vorhanden sind.  Die Quantentheorie stellt die notwendigen theoretischen Strukturen bereit – eine mathematische Unendlichkeit möglicher Zustände. Nur mit einer solchen Unendlichkeit (die eine mathematische ist und nicht im philosophischen oder theologischen Sinne gemeint ist) wird eine naturwissenschaftliche Erklärung möglich, bei der ein Ganzes, das ganze Denken, auf eine echte Teilmenge, das reflektierende Denken, in der Weise abgebildet werden kann, dass dabei nichts notwendigerweise ausgelassen werden muss und dass zugleich nicht Verschiedenes durch Gleiches repräsentiert werden muss.  Jeder, der beispielsweise einen Hund besitzt, wird ihn wie andere erlebnis- und bewusstseinsfähige Lebewesen als Subjekt verstehen. Ein Ich-Bewusstsein, also die Fähigkeit, sich selbst als Ich erkennen zu können, muss bereits einigen Primaten, Delphinen und Elefanten zugeschrieben werden. Von Subjektivität soll aber erst dann gesprochen werden, wenn eine Erste-Person-Perspektive sich auch verbalisieren kann, wenn also durch die Sprache auch zugleich eine Dritte-Person-Perspektive eingenommen werden kann. Damit wird das erkennbar, was üblicherweise als Persönlichkeit bezeichnet wird.  Die Quantentheorie erklärt die Tatsache, dass es aus naturgesetzlichen Gründen prinzipiell unmöglich ist, die Inhalte eines fremden Bewusstseins besser als lediglich näherungsweise zu kennen. Am Verhalten und durch Mitteilungen wird eine »ungefähre« Kenntnis möglich, aber ein objektiv vorliegender Quantenzustand kann höchstens von demjenigen durch eine Messung unverändert erkannt werden, der ihn selber produziert hat. Die theoretische Struktur der Quantentheorie bewirkt, dass eine Messung, die durchgeführt wird, ohne dass man dabei bereits eine genaue Kenntnis des zu messenden Zustandes besitzt, diesen Zustand verändern wird. Man hat dann lediglich Kenntnis über den Zustand nach der Messung, nicht aber über den zuvor vorhanden gewesenen. Dieser Sachverhalt ist auch deshalb im Rahmen der Wissenschaften bedeutsam, weil von Seiten mancher wenig informierter Naturwissenschaftler von den Geisteswissenschaften ein Objektivitätsideal eingefordert wird, was aus moderner naturwissenschaftlicher Sicht unsinnig ist.  Nach der Entwicklung eines reflexionsfähigen Selbstbewusstseins, wie es den Menschen auszeichnet, und mit der Entwicklung einer auf Sprache beruhenden Kultur erreicht die Bedeutungsgebung eine weitere Stufe weg vom bloßen Überleben. Dann kann sogar sehr abstrakten Inhalten – z.B. dem »Vaterland« – eine solche Bedeutung gegeben werden, dass man dafür das eigene Leben opfert.  Bei der Beziehung zwischen Bewusstsein und Gehirn spielt das sogenannte Bindungsproblem eine gewichtige Rolle. In den einzelnen Hirnarealen werden jeweils Teilinformationen verarbeitet, die außerdem z.T. zeitversetzt aus den verschiedenen Sinnesorganen dorthin gelangen. Als »Bindungsproblem« wird im Rahmen der Hirnforschung die Schwierigkeit bezeichnet, wie man verstehen kann, in welcher Weise diese Daten trotzdem zu einem einheitlichen Objekt der Aufmerksamkeit verbunden werden. So lange allein die Nervenzellen als real verstanden werden und damit lediglich eine Bottom-Up-Erklärung möglich ist, ist dieses Problem unlösbar. Erkennt man aber an, dass die Inhalte des Erlebens und des Bewusstseins in einem naturwissenschaftlichen Sinne ebenfalls real sind, dann wird auch eine Top-Down-Erklärung möglich. Dann kann ausgehend von bewussten und unbewussten Inhalten des Erlebens – z.B. von Gestalten in Form von Gedanken über Begriffe, Bilder, Gerüche u.ä. – im Gedächtnis nach möglichen dazu passenden Aspekten gesucht werden. Dann können diese mit denen verglichen werden, die von den einzelnen Sinnesorganen geliefert werden. Unter dem Dach einer Gestalt können dann alle betreffenden Sinnesdaten zu einem einheitlichen Objekt zusammengebunden werden.  Unter dem »Selbst« versteht man die Fähigkeit eines Ichs, sich selbst zum Objekt der Wahrnehmung zu nehmen. Mit ca. 18 Monaten wird erkennbar, dass die Kinder sich selbst im Spiegel erkennen können. Sie entwickeln ein ›Selbstbild‹ und eine ›Identität‹ und werden fähig, über Ihre Umwelt und über sich selber zu reflektieren. Bei einer gesunden Entwicklung erlebt ein solches Selbst sich im günstigen Fall bei aller Veränderungsmöglichkeit als konstant und kohärent. Das so entstandene Selbst muss nicht lokalisiert gedacht werden, denn es ist ausgedehnt.17 Da die Quantentheorie nichtlokalisierte Zustände kennt, kann mit ihr auch die Möglichkeit dieses Tatbestandes gut erklärt werden.  Die Quantentheorie hat darüber hinaus auch keine Probleme mit immer wieder einmal berichteten Erfahrungen, dass in manchen Situationen zwischen dem Selbst von verschiedenen Personen gemeinsame korrelative psychische Zustände deutlich werden können, die nach der klassischen Physik vollkommen undenkbar sind. Die Beziehungen zwischen Leib und Seele müssen also weit gefasst werden, da das Selbst in die Umwelt eingebunden ist.                      

Wenn man Gedanken und Empfindungen als spezielle Formen von Quanteninformation akzeptiert, so werden alle diese verschiedenen Erfahrungen leicht verstehbar, denn an dem, was wir Menschen an unseren seelischen Erscheinungen wahrnehmen, kommen generelle Wesenszüge der Quantentheorie unmittelbar zum Tragen. Mit dem Menschen wird es also nach unserer heutigen Kenntnis in der kosmischen Entwicklung erstmals möglich, dass ein spezieller Zustand der Protyposis – das menschliche Bewusstsein – über diese und ihre Entwicklung insgesamt reflektiert.  In einer solchen Reflexion kann ein Teil des Bewusstseins wie eine »Messvorrichtung« für den restlichen Teil wirken, es werden Fakten über Bewusstseinszustände erzeugt. Diese Fakten genügen der klassischen Logik, sie können durch Abwägen von Schlüssen eine Fragestellung erarbeiten und können damit eine Messanfrage für quantische Zustände der Psyche konstituieren, die teilweise auch unbewusst sein werden. Die Quantentheorie zeigt nun, dass eine Messanfrage die Menge der möglichen Antworten festlegt, die ihrerseits lediglich einen winzigen Bruchteil aller möglichen Quantenzustände des betreffenden Systems umfassen. Durch das Abwägen der Gründe ist daher keine reine Willkür mehr gegeben, sondern eine wichtige Vorauswahl getroffen worden. Andererseits ist die konkrete Antwort dadurch noch nicht determiniert. Somit zeigt die Naturwissenschaft, dass für die psychischen Prozesse der Menschen weder eine faktische Determiniertheit noch eine reine Willkür zu erwarten ist und daher freie Entscheidungen möglich sind. Wären sie darüberhinaus auch noch notwendig, so wären sie gerade deswegen nicht mehr frei.

14  GÖRNITZ, TH. /GÖRNITZ, B., Evolution, 181. 15  STAPP, H., Mindful.
15  STAPP, H., Mindful
16  GÖRNITZ, TH. /GÖRNITZ, B., Evolution, 266.

Quelle: Bewusstsein – naturwissenschaftlich betrachtet und enträtselt -– ein Brückenschlag zwischen den Wissenschaften (17seitige wissenschaftliche Abhandlung), Thomas Görnitz 2018 

 


 

Thomas Görnitz
von 1994 bis 2009 Professur für Didaktik der Physik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main; von Gründung bis 2016 Vorsitzender der Carl Friedrich v. Weizsäcker-Gesellschaft

Mitgliedschaften in: Deutsche Physikalische Gesellschaft; Deutscher Hochschulverband

 

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